Unter der Überschrift »Neuer Beitrag zum Dialogprozess« ist heute ein Text des Freiburger Fundamentaltheologen Prof. Dr. Magnus Striet erschienen. Nach der Lektüre fragt man sich, ob hier wieder einmal ein Musterbeispiel dafür vorliegt, wie sich römisch-katholische Theologen unklar ausdrücken und vermeintlich »fein raushalten« wollen, aber damit den status quo unterstützen? Oder gibt es ähnlich wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde auch »zwei Seiten« bei Professor Striet?
Interessanterweise veröffentlicht Striet seinen Beitrag nicht auf »neutralem Gebiet«, sondern im »Konradsblatt«, der Wochenzeitung der Erzdiözese Freiburg. Herausgeber ist Erzbischof Robert Zollitsch, Vorsitzender der »Deutschen Bischofskonferenz«, und damit Teil der römisch-katholischen Kirchenleitung, also »herrschende Partei« in der innerkirchlichen Auseinandersetzung und Nutznießer des status quo.
Delikaterweise ist Zollitsch als Ortsordinarius auch für die Theologische Fakultät der Universität Freiburg zuständig, er überwacht die »rechtgläubige Arbeit« der römisch-katholischen Theologie-Professoren. Laut can. 833 CIC sind »das Glaubensbekenntnis nach der vom Apostolischen Stuhl gebilligten Formel persönlich abzulegen verpflichtet (…) vor dem Ortsordinarius oder ihren Beauftragten, an allen Universitäten bei Amtsantritt die Dozenten der Disziplinen, die Glaube und Sitte betreffen«. In diesem Glaubensbekenntnis heißt es u.a.:
Fest glaube ich auch alles, was im geschriebenen oder überlieferten Wort Gottes enthalten ist und von der Kirche als von Gott geoffenbart zu glauben vorgelegt wird, sei es durch feierliches Urteil, sei es durch das ordentliche und allgemeine Lehramt. Mit Festigkeit erkenne ich auch an und halte an allem und jedem fest, was bezüglich der Lehre des Glaubens und der Sitten von der Kirche endgültig vorgelegt wird. Außerdem hange ich mit religiösem Gehorsam des Willens und des Verstandes den Lehren an, die der Papst oder das Bischofskollegium vorlegen, wenn sie ihr authentisches Lehramt ausüben, auch wenn sie nicht beabsichtigen, diese in einem endgültigen Akt zu verkünden.
Im dazugehörigen »Treueid bei der Übernahme eines kirchlichen Amtes (Formel, die für jene Gläubigen zu verwenden ist, die in can. 833, Nn. 5–8 genannt sind)« ist zu schwören:
Bei der Ausübung meines Amtes, das mir im Namen der Kirche übertragen worden ist, werde ich das Glaubensgut unversehrt bewahren und treu weitergeben und auslegen; deshalb werde ich alle Lehren meiden, die dem Glaubensgut widersprechen. Ich werde die Disziplin der Gesamtkirche befolgen und fördern und alle kirchlichen Gesetze einhalten, vor allem jene, die im Codex des kanonischen Rechtes enthalten sind. In christlichem Gehorsam werde ich dem Folge leisten, was die Bischöfe als authentische Künder und Lehrer des Glaubens vortragen oder als Leiter der Kirche festsetzen.
Dass Prof. Dr. Striet »bei Amtsantritt« die vorgeschriebene Ablegung von Glaubensbekenntnis und Treueid verweigert oder das Erzbistum Freiburg auf die Abnahme verzichtet hat, ist mir nicht bekannt.
Magnus Striet behauptet in seinem Beitrag für das Konradsblatt, »viel im Moment (sei) von einer Krise der Kirche die Rede«, lässt seine LeserInnen aber im Unklaren darüber, ob er selbst diese plausibel klingende Diagnose für zutreffend, für ein Modewort oder eine schiefe Analyse mit falschen Schlussfolgerungen hält. Auch in dem am 4. Februar 2011 veröffentlichten Memorandum »Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch« ist »viel von einer Krise der Kirche die Rede«. Dort heißt es z.B.:
Es folgte ein Jahr, das die katholische Kirche in Deutschland in eine beispiellose Krise gestürzt hat. (…) Wird die vielleicht letzte Chance zu einem Aufbruch aus Lähmung und Resignation durch Aussitzen oder Kleinreden der Krise verspielt? (…) Die tiefe Krise unserer Kirche fordert, auch jene Probleme anzusprechen, die auf den ersten Blick nicht unmittelbar etwas mit dem Missbrauchsskandal und seiner jahrzehntelangen Vertuschung zu tun haben. (…) Der begonnene kirchliche Dialogprozess kann zu Befreiung und Aufbruch führen, wenn alle Beteiligten bereit sind, die drängenden Fragen anzugehen.
Zu den Unterzeichnern der Denkschrift gehört – und da wird es jetzt interessant – u.a. auch der Theologe »Striet, Magnus, Universität Freiburg«! Zur Veröffentlichung hatten sich die mutigen WissenschaftlerInnen (»als Theologieprofessorinnen und -professoren dürfen wir nicht länger schweigen«) in realistischer Einschätzung der Lage keine Bistumszeitung, sondern die säkulare Wochenzeitung »DIE ZEIT« ausgesucht. Die Bischöfe zeigten sich gespalten, die einen sahen das Memorandum »erstmal positiv«, andere äußerten sich irritiert, schroff ablehnend oder gar drohend.
Im Konradsblatt wiederum behauptet Striet nur vier Monate nach seiner Unterschrift unter das Memorandum, »ein Großteil des innerkirchlichen Unmuts (entstamme) daher, dass man schlicht nicht versteht, warum geschichtlich ausgeprägte Denkweisen und Strukturen nicht verändert werden sollen«. Unklar bleibt, wer denn genau »man« ist, der hier »schlicht nicht versteht«. Sind etwa diejenigen gemeint, die genau solche kirchlichen Struktur-Veränderungen fordern, z.B. die vielen kirchlichen Reformgruppen, die schon seit Jahrzehnten Klartext reden– anders als die meisten TheologInnen, die erst nach Erreichen der Pensionsgrenze »mutig« werden?
Im Memorandum, das Striet im Februar noch mitunterzeichnete, werden immer wieder strukturelle Reformen der Kirche eingefordert:
Bei vielen verantwortlichen Christinnen und Christen mit und ohne Amt ist nach anfänglichem Entsetzen die Einsicht gewachsen, dass tief greifende Reformen notwendig sind. (…) Die Kirche muss diese Zeichen verstehen und selbst aus verknöcherten Strukturen ausziehen, um neue Lebenskraft und Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen. (…) Die Erneuerung kirchlicher Strukturen wird nicht in ängstlicher Abschottung von der Gesellschaft gelingen, sondern nur mit dem Mut zur Selbstkritik und zur Annahme kritischer Impulse – auch von außen. (…) Ihr (der Kirche) Reden und Handeln, ihre Regeln und Strukturen – ihr ganzer Umgang mit den Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche – stehen unter dem Anspruch, die Freiheit der Menschen als Geschöpfe Gottes anzuerkennen und zu fördern. (…) Gemäß dem alten Rechtsprinzip »Was alle angeht, soll von allen entschieden werden« braucht es mehr synodale Strukturen auf allen Ebenen der Kirche. (…) Gläubige bleiben fern, wenn ihnen nicht zugetraut wird, Mitverantwortung zu übernehmen und sich in demokratischeren Strukturen an der Leitung ihrer Gemeinde zu beteiligen. (…) Kirchliches Recht verdient diesen Namen nur, wenn die Gläubigen ihre Rechte tatsächlich geltend machen können. Rechtsschutz und Rechtskultur in der Kirche müssen dringend verbessert werden; ein erster Schritt dazu ist der Aufbau einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Im Konradsblatt behauptet Striet nun: »Vieles ließe sich leicht ändern, nicht aus Willkür, sondern weil es gute Gründe für solche Veränderungen gibt.« Das klingt erst einmal noch ähnlich wie im Memorandum. Welche Konsequenzen zieht Striet aber nun aus dieser Feststellung? Anstatt die Kirchenleitung dafür zu kritisieren, dass sie diese (angeblich doch) leicht zu bewältigenden Reformen verweigert, bläst er ins gleiche Horn wie die Feuilleton-Katholiken Kissler, Matussek & Co. und projiziert die Schuld auf »die allzu bekannten, sich lähmend auswirkenden Debatten«. Wohl gemerkt: Laut Striet (Konradsblatt) führt nicht die jahrzehntelange Reformverweigerung zur Krise, sondern die wiederholten, wenngleich erfolglosen Forderungen nach Veränderung!
Im Februar sah das Striet (Memorandum) noch völlig anders: Die »Offensive der Bischöfe« sei ein »Aufruf zu einem offenen Dialog über Macht- und Kommunikationsstrukturen, über die Gestalt des kirchlichen Amtes und die Beteiligung der Gläubigen an der Verantwortung, über Moral und Sexualität. (…) Signale zu Aufbruch und Dialog, die einige Bischöfe während der letzten Monate in Reden, Predigten und Interviews gesetzt haben, greifen wir auf.« Bedenken, die Beschäftigung mit den Reformthemen könne sich »lähmend« auswirken, kannte das Memorandum nicht, im Gegenteil: »Die Unruhe eines offenen Dialogs ohne Tabus ist nicht allen geheuer, schon gar nicht wenn ein Papstbesuch bevorsteht. Aber die Alternative: Grabesruhe, weil die letzten Hoffnungen zunichte gemacht wurden, kann es erst recht nicht sein.«
Ohne jeden Bezug auf die von ihm noch vor vier Monaten unterzeichnete Denkschrift schreibt Striet (Konradsblatt): »Nicht nur von einer Krise, auch ist im Moment viel vom Dialog die Rede und über die Themen eines solchen Dialogs.« Zwar werden die vom Memorandum dringend empfohlenen »Handlungsfelder« nicht direkt kritisiert, statt dessen fordert Striet nun im Konradsblatt: »Welche Bedeutung (…) der überkommene Glaube an Gott hat, (…) darüber wäre der Dialog zu führen.«
Es gehört schon Chuzpe dazu, wie Striet (Konradsblatt) zu schreiben: »Kardinal Walter Kasper hat kürzlich gemeint, die eigentliche Krise der Gegenwart sei die Gotteskrise und auf Johann Baptist Metz verwiesen.« Kein Sterbenswörtchen lässt Striet aber dazu fallen, in welchem Kontext eben jener Kardinal Kasper sich da äußerte und auf Metz berief, in einer ablehnenden Stellungnahme nämlich zu eben jenem Memorandum der Theologen, das Striet noch im Februar unterschrieben hatte:
Als einer, der selbst fast dreißig Jahre lang im akademischen Dienst tätig war – und das sehr gerne – und der diesem wichtigen Dienst mit dem Herzen und mit dem Verstand auch seither verbunden geblieben ist, muss ich aber offen sagen, dass mich das Memorandum maßlos enttäuscht hat. Es hat mich deshalb enttäuscht, weil ich mir von Theologen mehr, nämlich einen substanziellen theologischen Beitrag erwartet hätte. Den brauchen wir, aber den finde ich in dem Memorandum nicht. Ich frage mich nämlich, wie man als Theologe, und das heißt als Wissenschaftler der rational verantwortet von Gott reden soll, von der gegenwärtigen Situation und ihren Nöten sprechen kann, ohne das zu nennen, was Johann Baptist Metz schon vor Jahren die Gotteskrise genannt hat. Statt dessen bleibt das Memorandum in einer von ihm selbst voll zu Recht kritisierten Selbstbeschäftigung stecken. Glauben denn die Unterzeichner im Ernst, dass die Kirchenfragen die existenziellen Fragen der Menschen heute sind? Oder ist es nicht eher umgekehrt, dass nämlich die Kirchenkrise eine Folge der Gotteskrise ist?
Der frühere Theologie-Professor Kasper schreibt weiter: »Die Unterzeichner fordern mit Recht einen offenen Dialog. Doch dazu hätte ich gerne ihren theologischen Beitrag gehört. Aber was sie in ihrem Memorandum in den Dialog einbringen, ist alles längst bekannt und von vielen anderen Gruppierungen schon fast bis zum Überdruss gesagt.« Der Kurienkardinal fordert, »dass man (…) keine lähmende Dauerdiskussion führt, sondern Entscheidungen auch dann anerkennt, wenn man selbst vielleicht eine andere Lösung bevorzugt hätte«. Dass die »Lösung« einseitig von der Kirchenleitung, also den Nutznießern des status quo, getroffen wird, bleibt unerwähnt. Der aufmerksame Leser stellt darüber hinaus fest: Striet (Konradsblatt) übernimmt fast wörtlich Inhalt und Duktus von Kaspers Kritik am Memorandum, das er noch vor vier Monaten mit seiner Unterschrift unterstützte.
Wie kann man sich ein solches Lavieren erklären? Ist es eine Kehrtwende aus besserer Einsicht oder ein Anzeichen der von Striet befürchteten »völligen Schizophrenie«? Scheut Striet den Streit und rudert aus taktischen Gründen zurück? In der Geschichte der »Heiligen Inquisition« (inzwischen »Kongregation für die Glaubenslehre«; vgl.: »Raider heißt jetzt Twix …«) gibt es immer wieder Beispiele dafür, dass widerspenstige Theologen gezwungen werden, ihre von der offiziellen Lehre abweichenden Auffassungen nicht einfach zu widerrufen und fürderhin brav zu schweigen, sondern (quasi »in tätiger Reue«) einen Bekenntnistext als Beispiel »guten Willens« in einem offiziellen Organ der Kirche veröffentlichen zu lassen. Es ist gut möglich, dass Striet (aus durchaus nachvollziehbaren Gründen: »Jahrgang 1964, verheiratet, Vater von vier Kindern«) mit seinem Artikel im Konradsblatt eine solche Unterwerfungsgeste geleistet hat.
In diesem Fall hat er aber – nicht ohne Witz – den strengen Glaubenswächtern noch ein »hidden egg« hinterlassen. Striet schreibt nämlich:
Viele Gläubige leben in zwei Welten. Sie setzen im Krankheitsfall auf eine Hochleistungsmedizin und sollen im nächsten Moment an einen Gott glauben, der auf die Fürsprache eines Verstorbenen hin eine Parkinsonpatientin, nachdem diese inständig darum flehte, von ihrem Leid geheilt hat.
Pikanterweise handelt es sich um den Fall des jüngst seliggesprochenen Johannes Paul II., über den DER SPIEGEL am 29.3.2007 schrieb: »Die Nonne Marie-Simon-Pierre soll durch die Kraft des ehemaligen Papstes von der Parkinson-Krankheit geheilt worden sein.« Man darf gespannt sein, ob ihm die Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse solche distanzierten Formulierungen durchgehen lässt oder ob Prof. Dr. Magnus Striet ein weiteres sacrificium intellectus leisten muss. Vielleicht lesen wir ja im Konradsblatt demnächst einen »neuen Beitrag über Wunder« aus der Feder des Freiburger Fundamentaltheologen, der 1998 über »Das Ich im Sturz der Realität« promovierte?