Für Luis Kardinal Aponte Martinez, emeritierter Erzbischof von San Juan aus Puerto Rico, ist der Titel »Miterlöserin« für Maria schon heute »sensus fidelium« (Glaubenssinn des Volkes). Deshalb lädt er weltweit kirchliche Würdenträger ein, mit einem persönlichen Brief an Papst Benedikt XVI. die Bitte nach einer dogmatischen Definition dieser Lehre zu unterstützen. Es geht dem Kardinal und seinen Gesinnungsgenossen nach einem Bericht der Nachrichtendienste ZENIT und kath.net darum, dass
»die Selige Jungfrau Maria als geistliche Mutter der Menschheit; als Miterlöserin mit Jesus, dem Erlöser; als Mittlerin der Gnaden mit Jesus, dem einen Mittler, und als Fürsprecher mit Jesus Christus für die ganze Menschheit«
verkündet werden soll. Dieses Anliegen war bereits an Papst Johannes Paul II. herangetragen worden, damals seien es 500 Bischöfe und 42 Kardinäle gewesen, die dem Heiligen Stuhl mehr als fünf Millionen Unterschriften präsentierten.
Warum Martinez das neue Dogma so wichtig ist, erläutert er in seinem heutigen Schreiben:
Wir alle sehen die weltweite Dringlichkeit einer größtmöglichen Fürsprache unserer himmlischen Mutter angesichts dieser beispiellosen Krise des Glaubens, der Familie, der Gesellschaft und des Friedens, welche die gegenwärtige Situation der Menschheit charakterisiert. Wir sehen in der Definition des Papstes über die Geistliche Mutterschaft Mariens für alle Völker eine außerordentliche Unterstützung angesichts dieser drohenden globalen Krisen. Je mehr wir offen die Macht der Fürsprache Mariens bekunden, desto mehr ist sie in der Lage, diese Macht zum Wohl der Völker dieser Welt einzusetzen, die ja ihrer Sorge auf Golgatha anvertraut wurden.
500 Bischöfe, 42 Kardinäle und mehr als fünf Millionen Unterschriften – da kommen schon zahlenmäßig »Kölner Erklärung« (1989), »KirchenVolksBegehren« (1995) und »Petition Vaticanum 2« (2009) nicht mit. Den Forderungen der römisch-katholischen Reformgruppen fehlen wohl gleichermaßen »weltweite Dringlichkeit« wie »größtmögliche Fürsprache« hoher Kirchenfürsten. Der offenbar millionenfach heißersehnte Wunsch, der Papst möge »die Geistliche Mutterschaft Mariens für alle Völker« endlich dogmatisch definieren, mag religionswissenschaftlich, psychologisch oder kabarettistisch analysiert werden.
Wenn allerdings »angesichts drohender globaler Krisen« (neben der angeführten »beispiellosen Krise des Glaubens, der Familie, der Gesellschaft und des Friedens« fehlt in dieser Aufzählung noch der in diesen Tagen in Kopenhagen diskutierte Klimawandel) ernsthaft in einer päpstlichen Dogmenverkündung »eine außerordentliche Unterstützung« gesehen und auf »die Macht der Fürsprache Mariens« vertraut wird, verabschiedet sich die römische Kirche aus dem Kreis der ernstzunehmenden Gesprächspartner.
»Wie kann sich der klare Blick nach vorne richten, was kann man tun?«, fragte der römisch-katholische Kanonist Prof. Werner Böckenförde bei der »Wir sind Kirche«-Bundesversammlung 1998 und gab einige bedenkenswerte Ratschläge in seinen »kirchenrechtlichen Anmerkungen zur gegenwärtigen Lage in der römisch-katholischen Kirche«
Wenn die Bischöfe im Vatikan über ihre Diözese – schriftlich und mündlich – berichten, ist ein wichtiger Punkt, was sie über den »sensus fidelium« in ihrer Diözese aussagen, also über das, was tatsächlich von ihren Diözesaninnen und Diözesanen geglaubt wird. Kardinal Ratzinger antwortete in dem 1996 erschienenen Buch »Salz der Erde« auf die Frage, ob der Vatikan darüber auch Repräsentanten des Gottesvolkes befrage, er gehe davon aus, daß die Bischöfe darüber perfekt informiert seien und das auch mitteilten (S. 96f). Bischöfe können gefragt werden, ob und wie sie sich über den »sensus fidelium« der ihnen anvertrauten Gläubigen informieren sowie, ob und was sie darüber in Rom berichten.
Ausdrücklich warnte Böckenförde damals, die Gläubigen müssten »wachsam sein gegen die verschiedenen in der Kirche heute anzutreffenden Formen der Verharmlosung und Bagatellisierung. Ob gewollt oder nicht: Sie beschwichtigen und behindern so Veränderung.« Eine Form der Verharmlosung, die Böckenförde nannte, wird wohl auch diesmal versucht werden, die »Beruhigung durch vermeintliche Relativierung«:
Eine ebenfalls verbreitete Form der Beruhigung sind die Hinweise, nicht alles so ernst zu nehmen, was aus Rom kommt. Dies ist zum einen selbst ein deutlicher Ausdruck des Autoritätsverlustes der Zentrale. Es ist aber zugleich eine gefährliche Haltung, die zu Lasten der Gläubigen geht. (…) Lehrvorlagen, denen heute nicht entschieden widersprochen wird, können morgen zur verpflichtenden Tradition der Kirche gehören. Mit dem heute fehlenden Widerspruch gegen Behauptungen der Endgültigkeit bestimmter Lehren kann morgen deren Unfehlbarkeit begründet werden.
Die allermeisten (selbst der sich als »fortschrittlich« oder »reformorientiert« verstehenden) römisch-katholischen Zeitgenossen werden auch einem zukünftigen Dogma der »Mater Corredemptrix« nicht widersprechen, genausowenig wie sie die Dogmen der »Unbefleckten Empfängnis Mariens« (Definition 1854), der »Unfehlbarkeit«, des »Universal-Episkopats« und des »Jurisdiktionsprimates« des Papstes (Dekrete des Vaticanum I, 1870) oder der »Leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel« (1950) als »mit dem Glauben der alten Kirche in Widerspruch stehend« verwerfen. Hier spielen sich »kleine Tragödien des schwachen Gewissens« ab.
Aus ökumenischer Sicht ist es aber bedauerlich, wenn sich die römische Kirche immer weiter vom Glauben der anderen Christen entfernt und damit den Skandal der getrennten Christenheit verschärft. Die für die »Petition Vaticanum 2« ausschlaggebende Wiedereingliederung der traditionalistischen Splittergruppe »Priesterbruderschaft St. Pius X.« (trotz oder gerade wegen ihrer reaktionären Irrlehren) ist daher nur als »Spitze des Eisbergs« zu verstehen …
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Ich denke es ist falsch auf die Vertiefung der Wahrheit zu verzichten. Wahrheit ist immer gleich wahr, nur wird sie von Menschen scheibchenweise erkannt. Es gibt auch oft Menschen die aus ganz schlechten Motiven interresiert sind die Wahrheit zu vertuschen und zu verdunkeln.