Katholikentag: Aufbruch, Exodus oder »Marsch ins Ghetto«?

Von | 25. Juni 2012

»Einen neuen Aufbruch wagen« lautete das Leitwort des Katholikentags, der vom 16. bis 20. Mai 2012 in Mannheim stattfand. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hatte damit einen Slogan der Deutschen Bischofskonferenz aufgegriffen, mit dem ein »Gesprächsprozess« der katholischen Kirche in Deutschland in Gang gesetzt werden sollte. Diese Reaktion auf den dramatischen Verlust an Glaubwürdigkeit und die Rekordzahlen bei den Kirchenaustritten vor allem wegen der bekanntgewordenen Fälle sexualisierter Gewalt in der Kirche hatte hohe Erwartungen geweckt.

»Der Katholikentag in Mannheim soll ein Zeichen setzten, dass wir zu Reformen bereit sind und einen neuen Aufbruch wagen wollen«, hatte ZdK-Präsident Alois Glück angekündigt und sich »damit ausdrücklich in die Tradition des Zweiten Vatikanischen Konzils« gestellt. So feierte man in Mannheim auch eine »Konzilsgala«, bei der »historisch-heitere Erinnerungen« ausgetauscht wurden. Dass gleichzeitig in Rom die Glaubenskongregation über die kirchenrechtlichen Details für die bevorstehende Rückkehr der Piusbruderschaft verhandelte, deren »Aufbruch« gerade der Demontage des Konzils und seiner Reformbeschlüsse gewidmet ist, schien die Feierlaune nicht zu verderben. Der im letzten Jahr gestartete »Gesprächsprozess« ist aber erkennbar ins Stocken geraten, die Bischöfe haben die Themen für die nächsten Jahre bereits festgelegt und brisante Fragen ausgeklammert. Bei allen Veranstaltungen des Katholikentags, bei denen weitergehende Reformen gefordert wurden, gab es dementsprechend Applaus, viele Bischöfe kassierten hingegen Buhrufe.

Viele Fragen aber blieben ungeklärt: Was ist denn »neu« am »neuen Aufbruch«? Hat man von früheren (möglicherweise weniger erfolgreichen) »Aufbrüchen« etwas gelernt? Welche Aufbrüche können als Orientierungsmaßstab dienen? Das Zweite Vatikanische Konzil, die Würzburger Synode, das Dialog-Papier des Zentralkomitees der deutschen Katholiken von 1994, das KirchenVolksBegehren oder das Theologen-Memorandum? Für wen stellt der Aufbruch ein »Wagnis« dar? Was bedeutet der Aufbruch für diejenigen, die mit dem bisherigen Kurs einverstanden waren und davon profitierten? Warum sollten diese Kräfte jetzt einen »neuen Aufbruch wagen«? Was genau ist unter einem »offenen Dialog« zu verstehen? Wird er »ergebnisoffen« geführt? Oder wird lediglich »einmal offen gesagt, was Sache ist«?

Und was bedeutet das für den nächsten Katholikentag, der 2014 in Regensburg stattfinden wird? Der dortige Bischof Gerhard Ludwig Müller hat die Reformgruppen, die in Mannheim ohne staatliche oder kirchliche Zuschüsse ein gut besuchtes Alternativprogramm auf die Beine gestellt hatten, als »Leute, die von sich aus nichts zustande bringen« und »parasitäre Existenzen«, beschimpft – ohne zu erwähnen, dass die dortigen Publikumsmagneten wie der Theologe und Psychologe Eugen Drewermann, der homosexuelle Theologe David Berger oder Helmut Schüller, Sprecher der Pfarrer-Initiative aus Österreich, beim Katholikentag unerwünscht waren. Welcher Art »Aufbruch« in zwei Jahren zu erwarten ist, verrät Müllers Predigt in der Pontifikalvesper am 29. April:

»In Zukunft darf es in unseren Reihen keinen Platz mehr geben für dieses antirömische Geschwätz und für diese Dummheiten, die bisweilen vertreten werden. Der Katholikentag, der 2014 in Regensburg stattfindet, wird niemandem ein öffentliches Forum zur Verbreitung von antirömischen und antikatholischen Forderungen bieten. (…) Umtriebe gegen die Wahrheit des Glaubens und die Einheit der Kirche werden bei uns nicht geduldet.«

Update (Juli 2012):

Inzwischen macht Bischof Müller Karriere im Vatikan, seit dem 2. Juli ist er Pro-Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre. Und ZdK-Präsident Alois Glück äußerte sich drei Tage später in einem Zeitungsinterview:

»Der Katholikentag ist ein Ort des offenen und respektvollen Gesprächs und der Diskussion. Ich hoffe, dass uns das in Regensburg ähnlich gut gelingt, wie vor vier Wochen beim Katholikentag in Mannheim. Dort ist kein Thema tabuisiert worden. Alle Fragen, die die Gläubigen beschäftigen, müssen ihren Platz haben.«

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