Wie man »Kirchenaustritten mit erhöhter Dialogbereitschaft begegnet« …

Von | 14. Mai 2011

Im Jahr 2010 erreichte die Zahl der Kirchenaustritte in Deutschland ein neues Rekord-Niveau, etwa 180.000 Menschen verließen die römisch-katholischen Kirche, etwa 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Dieser Anstieg stehe »auch für einen Vertrauensverlust, den die Kirche besonders durch die Missbrauchsfälle erlitten hat«, wie Dominik Schwaderlapp, Generalvikar des Erzbistums Köln Anfang April gegenüber der Zeitung Christ und Welt einräumte. Viele Menschen hätten den Kirchenaustritt »als ihre persönliche Form des Protests und der Abscheu vor diesem Skandal gewählt.« Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, wird im gleichen Artikel mit dem Statement »Jeder Austritt ist für uns ein vor allem menschlicher Verlust« zitiert. Man wolle nun Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, vor allem durch die von den Bischöfen angekündigte Dialog-Offensive: »Wir werden alles tun, um die Austrittszahlen wieder geringer werden zu lassen.«

Ungewöhnlich klare Worte, fand ich und schrieb ihm am 8. April per E-Mail:

Sehr geehrter Herr Kopp,
dem Artikel »Die Folgen der Missbrauchsaffäre« aus der heutigen Online-Ausgabe der ZEIT entnehme ich, dass Sie als Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz die in den letzten Jahren enorm gestiegenen Kirchenaustritte nicht einfach wegen der entsprechend fehlenden Einnahmen aus der Kirchensteuer bedauern: »Jeder Austritt ist für uns ein vor allem menschlicher Verlust«, sagte Kopp.

Ich persönlich habe am 26. Februar 2009 vor dem Amtsgericht Bad Homburg v.d.H. meinen Austritt aus der Körperschaft des öffentlichen Rechts »römisch-katholische Kirche« erklärt.

Da ich Ihnen nicht einfach unterstellen möchte, das Sie Ihre oben zitierte Aussage unüberlegt oder unaufrichtig getätigt haben, bitte ich freundlich um Auskunft, warum ganz konkret in meinem Fall der Kirchenaustritt für Sie ein »vor allem menschlicher Verlust« darstellt.

Sollten Sie mit »für uns« nicht sich selbst oder die Deutsche Bischofskonferenz gemeint haben, bitte ich mir mitzuteilen, für wie schwerwiegend das Bistum Limburg oder die Gemeinde St. Petrus Canisius (Oberursel) den »menschlichen Verlust« meines Kirchenaustritts einschätzen.

Am 17. April antwortete mir Kopp »mit freundlichen Grüßen für einen gesegneten Palmsonntag«:

Sehr geehrter Herr Wystrach,
herzlichen Dank für Ihre Email. Es ist genau so wie ich es gesagt habe: Jeder Kirchenaustritt ist für uns vor allem ein menschlicher Verlust. Die Gemeinschaft des Glaubens und damit der Kirche besteht aus jenen, die zur Kirche zählen. Deshalb bedauern wir die Entscheidung derer, die aus dieser Gemeinschaft austreten. Das ist für uns ein menschlicher Verlust.

Der Austritt aus der Körperschaft öffentlichen Rechts ist das sichtbare Zeichen, die kirchliche Gemeinschaft zu verlassen. Und eben das bedauern wir. Sie werden Verständnis haben, dass ich nicht jeden der im Jahre 2009 123.000 ausgetretenen Menschen einzelne nachgehen kann. Aber für uns ist dieser Abschied tatsächlich traurig.

Am gleichen Tag schrieb ich eine weitere Mail an Alois Glück, den Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK):

Sehr geehrter Herr Glück,
der Pressemeldung des ZdK vom 8. April 2011 entnehme ich Ihren Aufruf, »den dramatisch gestiegenen Kirchenaustritten in der katholischen Kirche mit erhöhter Dialogbereitschaft zu begegnen«. Sie betonen dabei ausdrücklich, »dieser Dialog muss auch die einbeziehen, die bereits Abstand genommen haben«.

Ich schilderte ihm meinen Schriftwechsel mit Herrn Kopp und fuhr fort:

Ich habe nun folgende Fragen an Sie:
1. Teilen Sie die Ansicht von Herrn Kopp, dass »jeder Austritt (…) ein vor allem menschlicher Verlust« ist? Falls »ja«, können Sie mir (anstelle von Herrn Kopp) mitteilen, inwiefern ganz konkret mein Kirchenaustritt ein »vor allem menschlicher Verlust« darstellt?
2. Halten Sie die Antwort von Herrn Kopp für ein gelungenes Beispiel dafür, wie man »Kirchenaustritten mit erhöhter Dialogbereitschaft begegnen« sollte? Falls »nein«, wie wollen Sie sicherstellen, dass der Exodus aus der römisch-katholischen Kirche nicht weiterhin »auch die Kernschichten der engagierten Gläubigen« betrifft?

Bis heute habe ich keine Antwort von Herrn Glück erhalten, die »Dialog-Offensive« der römisch-katholischen Kirche geht aber munter weiter. Am 29. April verbreitet das ZdK die Meldung, eigens zu diesem Zweck sei nun auch eine neue Website erstellt worden:

Unter www.einen-neuen-aufbruch-wagen.de hat das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) eine neue Homepage gestartet, die den Dialogprozess in der katholischen Kirche in Deutschland begleiten soll.

Und Alois Glück schreibt in seinem »Gruß des ZdK-Präsidenten«:

Dieser Dialogprozess ist eine große Chance, verlorenes Vertrauen und Glaubwürdigkeit unserer Kirche zurückzugewinnen.

Solche angeblich bestehenden Möglichkeiten werden bisher zwar nicht genutzt, aber darum geht es bei dieser Reformrhetorik offensichtlich auch gar nicht.  In seinem »Bericht zur Lage« vor der Vollversammlung des ZdK am 13. Mai in Erfurt skizzierte Glück »Positionen und Themen, mit denen das ZdK den Dialogprozess in der katholischen Kirche in Deutschland mitgestalten will«:

Wir wollen, dass die Laien in ihrer Stellung als mündige Christen ernst genommen werden, und zwar erst genommen werden in ihrer Kirche. Viele Katholikinnen und Katholiken finden sich in einem tiefgreifenden Identitätskonflikt wieder. In beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Zusammenhängen wird von ihnen Mündigkeit, Eigenständigkeit und Selbstverantwortung erwartet, im Raum der Kirche aber erfahren sie sich gleichzeitig als Objekt einer Leitung und Belehrung, auf die sie keinerlei Einfluss haben und die zu oft nur sehr zögerlich zu Gesprächen bereit ist. Das sind einige Fragen, denen wir uns als ZdK stellen werden, ob gelegen oder ungelegen. Dass wir uns mit ihnen auseinandersetzen, gehört zum Kernbestand unserer innerkirchlichen Identität und zu unserer Aufgabe, denkenden und fragenden Menschen in dieser Kirche eine Heimat zu geben.

Was diese Phrasen wirklich wert sind, wird man spätestens beim nächsten Katholikentag 2012 in Mannheim merken, der ebenfalls das Motto »Einen neuen Aufbruch wagen« trägt. Einige Fragen dazu stellen sich bereits jetzt.

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