Die Süddeutsche Zeitung bringt heute auf Seite 2 eine »Außenansicht« von Hans Küng unter dem pathetischen Titel: »Das römische System muss fallen«. Der Text des Tübinger Theologen zeigt in beispielhafter Weise die Schwäche der römisch-katholischen »Kirchenreformszene«.
Eine (selbst-)kritische Beschäftigung mit den bisherigen Strategien (wenn es denn je welche gab) wird vermieden, statt dessen bleibt die »loyale Opposition« systemimmanent bei »Reformforderungen« und »Petitionen« an den Papst. Dabei beginnt Küng vielversprechend: In den beiden ersten Absätzen seines Gastbeitrags benennt er zutreffend die ideologischen Grundlagen für die das derzeitige System der römischen Kirche, die als »Dogmen« verkündeten Lehren des »Ersten Vatikanischen Konzils« von 1870: Jurisdiktionsprimat, Universalepiskopat und Unfehlbarkeit des Papstes.
Wie üblich fehlt an dieser Stelle jeder Hinweis auf die damalige Exkommunikation von mehreren zehntausenden Kritikern der Konzilsbeschlüsse und auf die aus diesem Protest entstandene alt-katholische Kirche, aber das muss man Küng wohl nachsehen, schließlich will er ja sein neues Buch verkaufen: »Ist die Kirche noch zu retten?« Gemeint ist von Küng zwar lediglich die römisch-katholische Kirche, hier zeigt sich aber seine tiefe Verwurzelung in dem von ihm verbal kritisierten »römischen System«.
Im dritten Absatz folgt dann abrupt – ohne jede logisch-argumentative Brücke zur vorher gemachten Situationsanalyse – ein Zeugnis der Selbstbestätigung des langjährigen Mahners:
»Wer könnte vor diesem Hintergrund nicht die Freude eines Theologen verstehen (…): Derzeit zeichnet sich (…) ein erfreuliches Erwachen des Reformgeistes ab.«
Mir jedenfalls ist die Euphorie nicht verständlich, denn gerade die erwähnten Gewährsleute (CDU-Politiker und Memorandums-Theologen) klammern die zu Beginn des Textes als Ursachen der Misere erkannten Papstdogmen von 1870 aus und beschäftigen sich mit den von Küng so bezeichneten »Oberflächensymptomen« Priestermangel und Gemeindefusionen!
Im fünften Absatz beklagt sich Küng über ehemalige Weggefährten, die – anders als er – Karriere machen konnten im römischen System:
»Wie schade, dass Walter Kardinal Kasper, früher einmal ein Reformtheologe, sich auch noch als Emeritus zum Apologeten des römischen Systems erniedrigt und sich zu den Dialog- und Reformverweigerern gesellt! Dabei ist es genau dieses römische System, unter dem die katholische Kirche krank geworden ist.«
Hier erstaunt die Weigerung Küngs, den Werdegang von Kasper gerade als typisch für eben jenes kranke römische System wahrzunehmen. Die häufig als angeblich »liberal« bezeichneten »Hoffnungsträger« wie Kasper, Lehmann, Zollitsch, Fürst und Co. sind doch von Papst Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. ernannte Bischöfe – und damit Profiteure des status quo, warum sollten also ausgerechnet sie an dem Ast sägen, auf dem sie seit Jahren und Jahrzehnten sitzen?
Im siebten Absatz greift Küng zustimmend die Kritik von Zulehner am Memorandum der Theologen auf und formuliert dann erstmals einen strategischen Gedanken:
»Was es jetzt braucht, sind entschiedene Reformen oder – bei deren Ausbleiben – aktiver Widerstand.«
Leider bleibt er dann jegliche Konkretisierung schuldig und lässt die an Kirchenreformen Interessierten ratlos zurück, was genau unter »aktivem Widerstand« zu verstehen ist.
Im achten Absatz erinnert sich Küng an den Beginn seines Textes und stellt als seinen »Beitrag zur Unterstützung der Reformer und zu dem von den deutschen Bischöfen geforderten, aber bereits hinausgezögerten ‚Zukunftsgespräch’« (bezeichnend ist bereits diese Verknüpfung, als würde die »Dialog-Offensive« der Deutschen Bischofskonferenz nicht dem Systemerhalt dienen!) vor:
»Notwendig ist eine gründliche und detaillierte Analyse, die nicht auf Oberflächensymptome, sondern auf die wahren Ursachen zielt.«
Gleich im Anschluss folgen dann aber die altbekannten und (gerade angesichts von Küngs vorgelegter Analyse) keinerlei Erfolg versprechenden »Therapievorschläge«:
»Konkret: Der Papst muss sich um die Gemeinschaft bemühen. Die römische Kurie zwar nicht zerstören, aber reformieren. Statt Günstlingswirtschaft zu betreiben, Fachpersonal suchen. Glasnost und Perestroika für die Kirchenfinanzen einführen. Die Inquisition nicht reformieren, sondern abschaffen. Alle Formen von Repression beseitigen. Das Kirchenrecht nicht nur verbessern, sondern gründlich neu gestalten. Priestern und Bischöfen die Ehe erlauben. Den Frauen alle Ämter öffnen. Abendmahlgemeinschaft mit den Kirchen der Reformation nicht länger verwehren, Wahrhaftigkeit ohne Ausreden und Verschweigen.«
Warum aber sollte ausgerechnet der Papst (!) diese Reformforderungen umsetzen, wo Küng doch gerade herausgearbeitet hat, dass die »päpstlichen Autokraten (…) seit dem 11. Jahrhundert« als »Allein-Herrscher« regieren? Bezeichnenderweise erwähnt Küng zwar, wie andere Autokraten endeten (sie wurden von der Französischen bzw. kommunistischen Revolution oder jüngst in den arabischen Ländern »vom Volk hinweggefegt«), er verzichtet aber darauf, ein ähnliches Schicksal für das Papsttum auch nur anzudenken.
Traurig, dass die Süddeutsche Zeitung einen derart schwachen Text mit einem Abdruck an prominenter Stelle adelt. »Ist Hans Küng noch zu retten?«, ist wohl eine spannendere Frage, die heutige »Außenansicht« in der Süddeutschen Zeitung ist jedenfalls keine gute Werbung für sein neues Buch …
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