Mit der Aufhebung der Exkommunikation von vier »Bischöfen« der traditionalistischen »Priesterbruderschaft St. Pius X.« (FSSPX) durch Papst Benedikt XVI. hat sich der Vatikan ein kaum vorstellbares PR-Desaster eingebrockt. »Empörung« und »Entsetzen« löste der päpstliche Gnadenerweis in den Medien, bei römisch-katholischen Theologen und Laienverbänden, Kirchenreformern, ökumenischen Gesprächspartnern und nicht zuletzt bei jüdischen Organisationen aus – vor allem, weil sich unter den vier rehabilitierten Anhängern des verstorbenen Erzbischofs Marcel Lefebvre die unappetitliche Gestalt des notorischen Holocaust-Leugners Richard Williamson befindet.
Dieser hatte Ende letzten Jahres – offenbar bei einem Besuch im Priesterseminar Zaitzkofen bei Regensburg – einem schwedischen Fernsehsender ein Interview gegeben, in dem er den Massenmord am europäischen Judentum in den Gaskammern der nationalsozialistischen Vernichtungslager bestritt. Für Williamson sind solche Äußerungen weder neu, noch ungewöhnlich, schließlich bezieht er seine »Erkenntnisse« u.a. aus der antisemitischen Hetzschrift »Protokolle der Weisen von Zion« oder den »Germania-Rundbriefen« des 2007 in Mannheim wegen »Volksverhetzung in 14 Fällen« verurteilten »Revisionisten« Ernst Zündel aus Kanada. Sein eigener Blog »Dinoscopus« spricht Bände …
Zwar distanzieren sich inzwischen auch die Pius-Brüder von den wirren Ansichten Williamsons, dieser selbst äußerte in einem Brief an den Papst sein »ernstes Bedauern«, dass er dem Heiligen Vater »unnötigerweise Leid und Probleme verursacht« habe, seine Äußerungen hält er jedoch weiterhin nicht für falsch, sondern für »unbedacht«. Die Nähe der traditionalistischen Bewegung zum rechtsextremen Milieu in Frankreich ist allerdings seit Jahrzehnten bekannt, Erzbischof Lefebvre äußerte immer wieder Sympathien für rechte Diktatoren wie Franco, Salazar, Videla und Pinochet sowie für Front-National-Chef Le Pen.
Die Rehabilitierung der erzreaktionären Geistlichen durch Papst Benedikt XVI. wird im Kommentar von Radio Vatikan lediglich als »fatal« und »unprofessionell«, vom Hamburger Weihbischof Jaschke als »Lapsus«, »Betriebsunfall« oder »kirchliche Schlamperei« verharmlost; tatsächlich sind sich Ratzinger, der als Präfekt der Glaubenskongregation jahrelang mit Erzbischof Lefebvre verhandelte, und die Pius-Brüder aber wohl näher, als die meisten Katholiken das wahrhaben wollen. Einige Aspekte des Vorgangs werfen nämlich Fragen auf:
Nach den kirchenrechtlich illegalen Bischofsweihen vom 30. Juni 1988 wurde die Päpstliche Kommission »Ecclesia Dei« einzig zu dem Zweck eingerichtet, die abtrünnigen Traditionalisten in langjährigen Verhandlungen zurückzugewinnen. Der Präsident eben dieser Kommission, der 79jährige Kardinal Darío Castrillón Hoyos, behauptet nun dreist:
»Schauen Sie, wir waren im Dialog mit den Autoritäten der Bruderschaft Pius X. Wir haben immer mit Msgr. Fellay gesprochen, dem Generaloberen. Und bis zum letzten Moment dieses Dialoges haben wir absolut nichts von diesem Williamson gewußt, nie ist darüber gesprochen worden, und ich glaube wirklich, daß niemand davon wußte.«
Kaum zu glauben, zumal von italienischen Journalisten kolportiert wird, es habe einen Wutanfall von Kardinal Giovanni Battista Re gegeben, der als Präfekt der Bischofskongregation am 21. Januar 2009 das Dekret unterzeichnet hatte, mit dem die Exkommunikation der Lefebvre-Bischöfe aufgehoben worden war: Kardinal Hoyos
habe die Angelegenheit viel zu schnell betrieben – und vor allem den Papst nicht gründlich genug über die Person Williamsons und ihre Ansichten informiert. Und das nur, so wird Re zitiert, weil Castrillòn bald achtzig Jahre alt werde und die Aufhebung der Exkommunikationen noch vor seinem altersbedingten Rücktritt abschließen wollte.
Die groteske Vorstellung, die Weltkirche werde quasi von eifersüchtigen Insassen eines vatikanischen Altenheims geleitet, mag sich dem Kabarett aufdrängen. Tatsächlich ist es aber wohl eher die inhaltliche Nähe, die den 81jährigen Papst Benedikt XVI. motivierte, »bewegt von väterlichen Empfindungen angesichts der von den Betroffenen bekundeten geistlichen Notlage« einen »Akt väterlicher Sensibilität zu setzen«, der vom rehabilitierten Generaloberen der Priesterbruderschaft St. Pius X., Msgr. Bernard Fellay, passenderweise mit »kindlicher Dankbarkeit« begrüßt wurde, schließlich geht es endlich zurück in den »Schoß von Mutter Kirche«. Und daher gelte es, »die gegenseitigen vertrauensvollen Beziehungen (zu) stärken und die Kontakte zwischen der Bruderschaft St. Pius X. und dem Heiligen Stuhl (zu) festigen«, so Kardinal Giovanni Battista Re im Dekret der Bischofskongregation vom 21. Januar 2009, in der »das damals erlassene Dekret ab dem heutigen Datum für juristisch wirkungslos« erklärt wird.
Der bereits 1976 von Papst Paul VI. suspendierte Erzbischof Lefebvre hatte sich mitsamt den von ihm am 30. Juni 1988 zu »Bischöfen« geweihten Priestern der FSSPX die »Tatstrafe der Exkommunikation« (excommunicatio latae sententiae) zugezogen, weil die Bischofsweihe ohne Erlaubnis von Papst Johannes Paul II. erfolgte. Wohlgemerkt: schon damals wurden nicht die inhaltlich oft haarsträubenden Positionen der Piusbrüder verurteilt, sondern lediglich die Straftat des Ungehorsams gegen den Papst, daraus folgend das »Schisma«, kirchenrechtlich festgestellt, gemäß can. 1382, CIC 1983:
Ein Bischof, der jemanden ohne päpstlichen Auftrag zum Bischof weiht, und ebenso, wer von ihm die Weihe empfängt, zieht sich die dem Apostolischen Stuhl vorbehaltene Exkommunikation als Tatstrafe zu.
Nach dem Kirchenrecht bleibt eine Exkommunikation solange bestehen, bis die Ursache beseitigt ist oder der Betroffene sein Vergehen wieder gut gemacht hat. Es gibt allerdings bis heute keine Äußerung seitens der Priesterbruderschaft St. Pius X., in der die Bischofsweihen von 1988 als illegal bezeichnet oder bereut werden. Auf der Website der FSSPX jubelt man statt dessen, »das ungerechte Exkommunikationsdekret wurde nach 20 Jahren endlich zurückgenommen!« Der Generalobere Bernard Fellay weist darauf hin:
Diese Exkommunikation haben wir stets bestritten. (…) Danken wir jetzt der Allerseligsten Jungfrau Maria, die dem Heiligen Vater diese einseitige, wohlwollende und mutige Tat eingegeben hat.
Der Vatikan hat auch keinerlei »Vorleistungen« in Bezug auf die Anerkennung des Zweiten Vatikanischen Konzils verlangt. Dabei wäre die Frage nach der »Alten Messe« nach tridentinischem Ritus inzwischen auch kein Problem mehr, Papst Benedikt XVI. ist mit seinem Motu Proprio »Summorum Pontificum« den Forderungen der Traditionalisten in dieser liturgischen Frage weit entgegen gekommen. Welcher Geist in der Priesterbruderschaft St. Pius X. aber wirklich herrscht, ist auf ihrer Website nachzulesen, u.a. über die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils:
Das Ergebnis war ein Konglomerat von Texten, die teils rechtgläubig, teils mehrdeutig, teils aber auch von Irrtümern durchsetzt sind. In einer bewußt unklar und ungenau gehaltenen Sprache formuliert, sind sie insgesamt von einem liberalen Geist durchdrungen. Derselbe Geist zeigte sich deutlich in den nachkonziliaren Reformen und Richtlinien, die teilweise noch weit über die Texte des Konzils hinausgingen. Die Priesterbruderschaft lehnt es daher ab, das Konzil und seine Reformen anzunehmen, weil sie von jenem liberalen Geist geprägt sind, der nicht der Geist der Kirche ist. (…) Der liberale Geist zeigt sich insbesondere in der Öffnung zur Welt, dem »Aggiornamento«, den Lehren vom Ökumenismus und von der Religionsfreiheit. Diese widersprechen ganz und gar dem Geist des Evangeliums und den Lehren, die die Kirche bis dahin vertreten hat.
Ausgerechnet an dem Tag, an dem sich die Ankündigung des Zweiten Vatikanums durch Papst Johannes XXIII. zum 50. Mal jährt, geht der Papst mit offenen Armen auf eine Gruppe zu, die seit Jahrzehnten eben dieses Konzil diffamiert! Den meisten deutschen Oberhirten wie dem Freiburger Erzbischof Zollitsch oder dem Aachener Bischof Mussinghoff ist der Vorgang sichtlich peinlich; mit deutlichen Worten distanzieren sie sich von Williamson, betonen aber, die Rücknahme der Exkommunikation habe nichts mit einer Rehabilitierung eines Holocaust-Leugners zu tun, außerdem seien die Pius-Brüder auf die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils zu verpflichten. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Prof. Dr. Hans Joachim Meyer, hat hingegen in wünschenswerter Klarheit festgestellt:
Wir haben immer gewusst: Zwischen der fortdauernden Ablehnung der Ergebnisse des II. Vatikanischen Konzils durch die Traditionalisten und ihrer tief reaktionären und freiheitsfeindlichen Haltung besteht ein enger Zusammenhang. Dass jemand von ihnen nun auch die Verbrechen der Shoah leugnet, kann darum nicht ernsthaft überraschen. Leute wie diese sind eine schwere Belastung für die Kirche.
Inzwischen formiert sich in eben dieser Kirche breiter Widerstand. In einer Petition »Für die uneingeschränkte Anerkennung der Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils« heißt es:
Bei allem Respekt vor dem Bemühen des Papstes um die Einheit der Kirche erscheint es uns besonders empörend, dass das erneute Zugehen des Vatikans auf die schismatische Traditionalistenbewegung offenbar ohne jede Vorbedingung erfolgt ist. Noch im Juni 2008, zum 20. Jahrestag der Exkommunikation Lefebvres, wies die Priesterbruderschaft eine Aufforderung des Heiligen Stuhls zur theologischen und kirchenpolitischen Aussöhnung ab und kam der Aufforderung Roms nicht nach, eine Fünf-Punkte-Erklärung mit Bedingungen für eine mögliche Wiedereingliederung in die römische Kirche zu unterzeichnen. (…) Solange der Vatikan nur um die Rückkehr der »verlorenen Schafe« am traditionalistischen Kirchenrand bemüht ist, nicht aber auch andere Exkommunikationen aufhebt, Lehrbeanstandungsverfahren reformorientierter Theologinnen und Theologen überprüft sowie nicht zum internationalen Dialog mit Reformkreisen bereit ist, hat das römisch-katholische Kirchenschiff schwere Schlagseite.
(Erstveröffentlichung dieses Beitrags im früheren Blog von Publik-Forum)