Die unüberschaubare Zahl an Veröffentlichungen zum Thema »Ökumene«, die jedes Jahr in Deutschland erscheinen, steht in merkwürdigem Gegensatz zu der von den meisten engagierten ChristInnen empfundenen Stagnation, ja »Eiszeit in der Ökumene«.
Während einerseits eine Rekonfessionalisierung unter dem Schlagwort »Ökumene der Profile« befürchtet wird, wird man andererseits den Eindruck nicht los, manche Vertreter evangelischer Kirchenleitungen biederten sich geradezu bei den römischen »Kollegen« an, um endlich als »Kirche im eigentlichen Sinn« anerkannt zu werden. Amtskirchennahe TheologInnen mahnen immer wieder zu geduldiger Würdigung der vielen Fortschritte der letzten 50 Jahre und feiern mit Begeisterung die jüngste bundesweite Anerkennung der Taufe als »ökumenischen Meilenstein«.
Herbert Koch, ehemaliger Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Wolfsburg, lädt mit seinem neuen Buch zur »Besichtigung einer Utopie« ein: Solange sich die ökumenische Zusammenarbeit auf der Ebene der Pfarrgemeinden im Rahmen des »von Rom Erlaubten« bewege, gebe es kaum Probleme; wer aber diese Mauern überspringen wolle, müsse sich von einigen Illusionen freimachen: »Innerhalb eines Systems, das die zentrale Bedingung der Zugehörigkeit zu ihm als Gehorsam definiert hat, (kann es) ein ernst zu nehmendes Aufbegehren nicht ohne Ungehorsam geben«.
Ein solcher »Primat der Praxis vor der kirchlichen Lehre« werde von der katholischen Kirchenleitung jedoch unnachgiebig verfolgt, wie das Nachspiel der Berliner Abendmahlsgottesdienste 2003 mit den Maßregelungen katholischer Priester wegen »eucharistischer Gastfreundschaft« zeigt. Neben der katholischen Eucharistie-Lehre gerate für die Bischöfe nämlich auch das Priesteramt, ja das ganze dogmatische Gefüge, inklusive der Rolle des kirchlichen Lehramtes ins Rutschen.
An »Knackpunkten« wie Eucharistie, Marienverehrung oder der für Protestanten nicht akzeptablen Rolle des Lehramtes macht Koch deutlich, dass der verbreitete Slogan, »es verbindet uns mehr als uns trennt« im Blick auf die kirchliche Lehre und die geltenden römischen Regeln für die Praxis nicht zutrifft. An vielen aktuellen Beispielen arbeitet er heraus, dass für die gegenwärtige Kirchenleitung eine »Einheit der Kirche« weiterhin nur als »Rückkehr« des Protestantismus zur römischen Kirche möglich ist. Angesichts dieser Bestandsaufnahme fordert Koch den Abschied von protestantischer Leisetreterei und empfiehlt den an Ökumene interessierten Gläubigen die »Wappnung zum Widerstand«.
Der römische Anspruch, alle Lebensbereiche bis ins Detail zu regulieren und zu kontrollieren, ist für Koch inzwischen zum Papiertiger geworden. Der Herausforderung pluralistischer Gesellschaften könne nicht mehr mit autoritärem Gebrauch von lehramtlicher Macht begegnet werden, im gesellschaftlichen Diskurs sei die katholische Kirche nun auf argumentative Überzeugungskraft angewiesen, da ihr die Sanktionsmöglichkeiten fast gänzlich abhanden gekommen seien.
In der Zwischenzeit empfiehlt Koch, die »Einheit in subversiver Gemeinschaft« zu feiern. Er erinnert an die Anfänge der ökumenischen Bewegung, die »unter Randgruppen und religiösen Außenseitern, in Schützengräben und in Gefangenenlagern« (Hermann Häring) begann und auf die Gemeinden übersprang. Erst dann seien diese Impulse von Theologie und Kirchenleitungen aufgegriffen worden. Die »Ökumene von unten« stellt in seinen Augen einen »Strang kirchlicher Tradition« dar, der wesentlich älter als die amtskirchliche Beschäftigung mit der ökumenischen Thematik ist.
Wem die »ökumenische Standard-Suppe« inzwischen zu fade schmeckt, dem sei dieses neue »Koch-Buch« wärmstens empfohlen.